Verbot allgemeinpolitischer Äußerungen

 
Allgemeinpolitisches Mandat der Studentenschaft

GG Art. 2 Abs. 1, VwGO § 123 Abs. 1, HHG §§ 95 Abs. 1, 96 Abs. 2, 97 Abs. 3

VGH Hessen, Beschl. v. 25.7.2002 - 8 TG 228/02, rechtskräftig.

1. Mitglieder der verfassten Studentenschaft haben einen Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG, dass es die Studentenschaft unterlässt, politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die keinen konkreten studien- und hochschultypischen Inhalt haben, also nicht unmittelbar die Studierenden in ihrer Rolle als Studierende betreffen.

2. Bei der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO bedarf es keiner vorherigen außergerichtlichen Aufforderung zur Unterlassung, wenn ein außergerichtlicher Rechtsschutz nicht mehr wirksam eingreifen kann und die Ag. ihr Verhalten im Eilverfahren verteidigt.

Zum Sachverhalt:

Der Ast. ist Student der Justus Liebig Universität Gießen und als solcher Mitglied der Studentenschaft. Am 23.11.2001 beantragte der Ast. vor dem VG Gießen den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Studentenschaft seiner Universität. Das VG hat dem Antrag am 11.1.2002 stattgegeben (3 G 3777/01) und untersagte der Ag. vorläufig politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die keinen konkreten studien- oder hochschultypischen Inhalt haben. Das VG Gießen sah es als glaubhaft an, dass der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) als Organ der Ag. in einer Pressemitteilung mit der Überschrift "Gegen städtischen Sicherheitswahn, unsoziale und ausgrenzende Innenstadtpolitik" Forderungen erhoben und Stellungnahmen zu Themen abgegeben hat, die außerhalb der Befassungskompetenz der Ag. liegen. Auch in einem Aufruf zu einer Demonstration gegen Krieg, den der AStA der Ag. unterstützte, sieht das VG die Wahrnehmung einer unzulässige Befassungskompetenz. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Ag..

Aus den Gründen:

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht der Ag. im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur unanfechtbaren Entscheidung in der Hauptsache, jedoch nicht länger als der Ast. Mitglied der Ag. ist, untersagt, politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die keinen konkreten studien- oder hochschultypischen Inhalt haben. Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht der Ag. für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000,00 Euro angedroht. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Ag. ist zulässig, kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben, denn die von der Ag. dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in der ab 1.1.2000 geltenden Fassung), sind nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Frage zu stellen.

Der Rechtsschutzantrag des Ast. ist entgegen der Auffassung der Ag. nicht deshalb unzulässig, weil sich der Ast. vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht an sie gewandt und das begehrte Verhalten - Unterlassung politischer Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen, die keinen konkreten studien- oder hochschultypischen Inhalt haben "abgemahnt" hat. Der Bevollmächtigte des Ast. weist zu Recht darauf hin, dass eine vorherige Abmahnung als von vornherein fruchtlos und damit entbehrlich angesehen werden durfte, weil die Ag. sich nach ihrem bisherigen Verhalten und ihren auf die Zulässigkeit eines politischen Mandats bezogenen Verlautbarungen (etwa: die in der Beschwerdeerwiderung vom 4.3.2002 zitierte Veröffentlichung im ASTA-Jahrbuch 1995 S. 37) ohne Weiteres für befugt hält, sich in der beanstandeten Weise zu äußern, und dieses Verhalten offensichtlich auch beizubehalten gedenkt.

Die auf die Begründetheit des Rechtsschutzantrags bezogenen Einwände der Ag. sind ebenfalls nicht berechtigt. Im Einzelnen ist hierzu folgendes zu sagen: Die Ag. hält dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Anordnungsanspruch entgegen, dass es mangels einer - im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - nachhaltigen und uneingeschränkten Kundgabe nicht hochschulbezogener, allgemein politischer Meinungen und Forderungen an einem entsprechenden Unterlassungsanspruch des Ast. fehle. Gerade in diesem Punkt ergeben sich jedoch keine Zweifel. Wie das Verwaltungsgericht beispielhaft an der vom ASTA herausgegebenen Pressemitteilung "Gegen städtischen Sicherheitswahn, unsoziale und ausgrenzende Innenstadtpolitik" und dem "Aufruf zur Demonstration gegen den Krieg" aus Anlass der Terroranschläge auf das World Trade Center mit Unterzeichnung u.a. durch den ASTA als "Unterstützer" verdeutlicht hat, handelt es sich hier um Stellungnahmen, denen der konkrete Bezug zur Hochschule und zu den typischen Interessen der Studierenden abgeht und die deshalb außerhalb des in § 96 Abs. 2 des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) beschriebenen Aufgabenbereichs der Studentenschaft liegen. Die nach der Rechtsprechung des BVerwG für eine gerechtfertigte Kompetenzwahrnehmung zu fordernde Beschränkung auf den Zusammenhang mit hochschulpolitischen Aufgaben ist nicht festzustellen. Die mögliche Betroffenheit auch von Studierenden durch eine bestimmte Thematik reicht als solche noch nicht aus, um in der Abgabe allgemein politische Erklärungen und Meinungsäußerungen die Wahrnehmung spezifischer Belange der Studierenden sehen zu können. Die dahingehenden Äußerungen der Ag. weisen im Übrigen auch die unzulässige Wahrnehmung eines politischen Mandats kennzeichnende "Nachhaltigkeit" auf. Dies belegen die zahlreichen vergleichbaren Verwaltungsstreitverfahren, die wegen solcher Äußerungen beim Verwaltungsgericht Gießen und beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof bereits anhängig waren, aber auch die jüngsten Verlautbarungen der Ag. etwa zur "Rasterfahndung", die - wie der Bevollmächtigte des Ast. im Beschwerdeverfahren zutreffend ausführt - ebenfalls allgemeinpolitische Meinungsäußerungen enthalten und die gebotene Beschränkung auf die Wahrung der spezifischen Belange der Studierenden nicht erkennen lassen.

Der von dem Ast. geltend gemachte Unterlassungsanspruch als Grundlage wiederum des den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigenden Anordnungsanspruchs scheitert auch nicht, wie die Bevollmächtigten der Ag. meinen, an dem Erfordernis der Wiederholungsgefahr. Die Wiederholungsgefahr ist durch die Nachhaltigkeit des Verhaltens der Ag. gleichsam "indiziert". Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Ag. den ernsthaften Willen hätte, sich künftig die gebotene Zurückhaltung aufzuerlegen und allgemeinpolitische Äußerungen im Namen der ihr angehörenden Studierenden zu unterlassen. Die Darstellung im ASTA-Jahrbuch 1995 S. 37 lässt eher auf das Gegenteil schließen. Die Gefahr der Wiederholung hat sich auch bereits realisiert, wie die in der Beschwerdeerwiderung des Ast. zitierten Äußerungen der Ag. zur Rasterfahndung zeigen.

Ausgehend von dem Unterlassungsanspruch des Ast. erweist sich auch die Ziffer 2 des Entscheidungsausspruchs des Verwaltungsgerichts enthaltene Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung als gerechtfertigt. Auf diesen Anspruch gezielt bezogene Einwendungen hat die Ag. mit ihrer Beschwerde auch nicht erhoben.

Die Beschwerde der Ag. ist nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 20 Abs. 3,13 Abs. 1,14 (analog) GKG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).